Für den offenen Dialog zwischen behinderten und nichtbehinderten Menschen

Foto: Joan van Hout
Szene

Ausstellung: Alle tun es

Fotos: Joan van Hout

Bis Ende Februar 2022 lief im Südpunkt Nürnberg die Foto-Ausstellung „Alle tun es – ALLE“ von Joan van Hout zum Thema Inklusion und Sexualität. Erfahrungsberichte gab es dazu von Ingrid, Model und Rollstuhlfahrerin, sowie von Maria, Sexbegleiterin.

Zum Künstler:

Joan van Hout

Vor 40 Jahren bin ich von Amsterdam nach Nürnberg gekommen. Neben meiner Arbeit und Gitarre spielen beschäftige ich mich seit 2004 mit Fotografie und Photoshop. Die erste Ausstellung war 2007 in der Erlanger Kinderklinik (medi-art), es folgten weitere z.B. im CPH Nürnberg, Berlin, jährlich im Südpunkt. Dabei setze ich mich gern mit verschiedenen Themen auseinander, u.a. Homophobie, Menschenrechte (in Zusammenarbeit mit amnesty international), aber auch z.B. einen Kalender für Porsche.

Thema 2018 war „Inklusion“. Die Ausstellung war im Südpunkt Nürnberg, im Museum für Industriekultur und in der Kirche Herz Jesu in Erlangen. Die Besonderheit war die doppelte Aufhängung der Bilder, für Rollstuhlfahrer und Fußgänger. Das habe ich auch für die diesjährige Ausstellung „alle tun es-alle“ barrierefreie Erotik, beibehalten.

2010 habe ich mit Zeichnen begonnen und kombiniere auch seitdem Fotografie und Zeichnung (z.B. Klinik Clowns).

Foto: Joan van Hout

Maria, Sexualbegleiterin

Vor 4 Jahren habe ich die Fortbildung zur Sexualbegleitung-und Assistenz bei Kassandra e.V. in Zusammenarbeit mit pro familia absolviert. Ursprünglich komme ich aus der Krankenpflege.

Ich finde es wichtig, dass dieses Thema in unserer Gesellschaft mehr Aufmerksamkeit und Wahrnehmung verdient. Auch Menschen mit Beeinträchtigungen, Erkrankungen und auch alte Menschen haben das Grundrecht und das Bedürfnis auf Selbstbestimmung wenn es um Berührung, Nähe, Zärtlichkeit, Intimität und Sinnlichkeit geht.

Berührung ist eine Möglichkeit Menschen ganzheitlich und voller Würde zu begegnen, einfühlsam und mit vollem Herzen.

Ich sehe meine Aufgabe darin, auf die verschiedenen Bedürfnisse meiner Klienten ganz präsent und achtsam einzugehen und sie zu begleiten.

Berühren und berührt sein!

„Der einzige Mensch, mit dem Du ein Leben lang zusammen bist, bist Du selbst! Darum höre auf Dich, denn nur Du weißt, was gut für Dich ist.

Tue DAS, was Du für richtig hältst. Denn es ist und bleibt DEIN Leben.“

Foto: Joan van Hout

Ingrid, Model und Rollstuhlfahrerin

Ich habe Joan auf der Messe von Reha & Care kennengelernt, weil unser Verein Rollitreff dort einen Stand hatte. Dabei hat er mir von seiner neuen Ausstellung erzählt und im Laufe des Gesprächs gefragt, ob ich mich fotografieren lassen würde. Mein erster Gedanke dazu war: „NEE, Hilfe, mit 53 Jahren ist die Haut faltig, das Bindegewebe schwach und Muskelschwäche macht nicht gerade Barbiebeine“. Dann habe ich einen Moment inne gehalten und gemerkt: Hoppla, da geht um was ganz anderes.

Denn Liebe und Erotik kennt keine Grenzen oder keine Behinderung, die einzige Barriere, die es gibt ist die im Kopf. Der Wunsch nach Intimität ist nicht anders bei Menschen mit Behinderungen, sie haben genauso Bedürfnisse nach Nähe, Zärtlichkeit, Intimität und Sexualität. Joan will vor allem zeigen, dass es immer Möglichkeiten gibt, egal wie die Voraussetzungen sind.

Ich finde vor allem, dass er mit ganz hoher Sensivität und feinem Gespür für Grenzen an das Thema Sexualität herangeht. Genauso wie bei seiner letzten Ausstellung über Inklusion, die mich sehr beeindruckt hat.

Leider ist das Thema Intimität überhaupt und bei Behinderten noch viel mehr ein sehr totgeschwiegenes Thema, aber – ich spreche für die Rollstuhlfahrer – fast jeder Fußgänger fragt sich heimlich: kann der/die noch und wie macht der/die das dann? Aber geredet wird darüber nie. Die Ausstellung soll dazu beitragen die Barrieren auch in den Köpfen der Leute zu beseitigen, sowohl bei Behinderten als auch bei nicht Behinderten und miteinander ins Gespräch und in einen guten Austausch zu kommen.

Allerdings ist Sexualität mit körperlichen Einschränkungen oft ein schwieriges Thema.

Das Problem ist: man kann sich wegen Lähmungen nicht oder nur eingeschränkt bewegen, man spürt wegen Sensibilitätsstörungen nichts, anders oder sogar schmerzhaft, man hat Kreislaufprobleme, man muss wegen Blasen- Darm-Problemen den Sex vorbereiten, man hat eventuell Dauerschmerzen, kriegt Krämpfe in bestimmten Stellungen, man braucht Hilfsmittel usw. Intimität geht also nur unter erschwerten Bedingungen oder auf Planung hin.

Wenn Körperlichkeit schon so schwierig ist, fällt es viel schwerer, unbelastete Intimität zu haben und das hat auch Folgen auf der seelischen, emotionalen und spirituellen Ebene, da Sex nicht nur ein körperlicher Akt ist, sondern viel mehr. Außerdem hat veränderte Intimität hat immer auch Auswirkungen auf der Beziehungsebene. Da ist viel Scham dabei, es erfordert viel Mut und viel Frustrationstoleranz, viel Reden, viel Vertrauen, viel Kreativität und einen guten Umgang miteinander. Es braucht auch alles Zeit, sowas geht nach Unfall oder Krankheitsereignis selten in zwei Monaten.

Und natürlich hat veränderte Intimität Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl als Frau oder Mann, man verkörpert ja nicht gerade DAS gesellschaftliche Ideal und das macht mit der eigenen Identität etwas.

Das sind alles Faktoren, die bei einer eingeschränkten Sexualität mitspielen, aber trotzdem kann Intimität mit Behinderung gut gelingen und befriedigend sein, vorausgesetzt man hat den Mut, das Thema anzugehen.

Wir wünschen Ihnen allen viel Neugier und Freude beim Anschauen der Bilder, wie gesagt vor allem einen guten Austausch und gute Gespräche dazu und die Erkenntnis, dass ein Behinderter auch ein ganz normaler Mensch ist mit ganz normalen Wünschen, Sehnsüchten und Bedürfnissen, die jeder hat.

Cookie Consent mit Real Cookie Banner